Die klinische Anwendung im Blick – neue Studie zur 7 Tesla-MRT des Handgelenks
Interview mit Prof. Dr. Marc-André Weber, Ärztlicher Direktor am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der Universitätsmedizin Rostock, und PD Dr. Frank Roemer, Leiter der muskuloskelettalen Forschung am Radiologischen Institut des Universitätsklinikums Erlangen.
Prof. Dr. M.-A. Weber (li.) und PD Dr. F. Roemer_DRG: Herr Professor Weber, Herr Dr. Roemer, was zeichnet die muskuloskelettale Radiologie gegenüber anderen radiologischen Schwerpunkten in besonderer Weise aus bzw. mit welchen spezifischen Anforderungen sind Sie in Ihrer täglichen Arbeit konfrontiert?
Prof. Dr. Marc-André Weber: Als erstes möchte ich daran erinnern, dass wir mittlerweile auf eine über hundertjährige Geschichte der Skelettradiologie zurückblicken können, die im Grunde mit der Röntgenaufnahme der Hand von Bertha Röntgen im Jahr 1895 ihren Anfang nahm. Wir sprechen also über das älteste Fachgebiet der Radiologie. Grundsätzlich kann man sicherlich festhalten, dass für die muskuloskelettale Radiologie in besonderer Weise anatomische Detailkenntnisse notwendig sind und dass durch die immer komplexeren Operationsverfahren und die immer differenzierter werdenden Fragestellungen an die muskuloskelettale Bildgebung der Zuweiser, beispielsweise der Sportorthopäden oder Sporttraumatologen, die Anforderungen an die befundenden Radiologen zunehmen.
PD Dr. Frank Roemer: Die muskuloskelettale Radiologie bildet einen Querschnitt der medizinischen Bildgebung ab. Sie nutzt alle verfügbaren modernen bildgebenden Verfahren einschließlich CT, MRT und Ultraschall sowie Verfahren, die erst nach und nach in den klinischen Alltag integriert werden wie zum Beispiel die Hochfeld-MRT, die metabolische und kompositionelle MRT-Bildgebung oder die Hybridbildgebung. Die tägliche Arbeit erfordert dabei eine kontinuierliche Anpassung an die rasante technische Entwicklung und die Integration moderner Technologien. Eine Besonderheit besteht darin, dass in der muskuloskelettalen Radiologie Krankheiten im Mittelpunkt stehen, die überwiegend ambulant diagnostiziert und therapiert werden. Das sind zum Beispiel Sportverletzungen, Schmerzepisoden oder -syndrome, für die man sich nicht unbedingt in stationäre Behandlung begeben muss. Auf der anderen Seite ist es jedoch so, dass die radiologische Facharztausbildung überwiegend in Krankenhäusern erfolgt und weniger in den ambulanten Niederlassungen. Das bedeutet, dass die Weiterbildung zum Radiologen dort stattfindet, wo typische muskuloskelettale Krankheitsbilder eine eher untergeordnete Rolle spielen. Für Radiologen jedoch, die später in eine Praxistätigkeit wechseln, machen solche Erkrankungen einen großen Teil ihrer täglichen Arbeit aus. Im Vergleich zu anderen Feldern wie der onkologischen, thorako-abdominellen oder der kardiovaskulären Bildgebung ist diese Diskrepanz in der muskuloskelettalen Radiologie schon besonders.
Weber: Die muskuloskelettale Bildgebung macht im niedergelassenen Bereich sicherlich mehr als 50 Prozent der Anforderungen aus. Nimmt man dagegen ein typisches Klinikum, sind nur etwa 20 Prozent der Schnittbilduntersuchungen dezidiert im muskuloskelettalen Bereich angesiedelt. Es überrascht daher auch nicht, dass das Interesse bzw. der Bedarf an muskuloskelettaler Fortbildung sehr hoch ist. Dies zeigt sich bei entsprechenden Sitzungen auf dem Deutschen Röntgenkongress.
_Welchen Stellenwert hat die MRT in der muskuloskelettalen Radiologie und wann ist sie das bildgebende Verfahren der Wahl?
Roemer: Die MRT spielt in der muskuloskelettalen Radiologie eine besondere Rolle, da sie als einziges Verfahren in der Lage ist, alle relevanten Gewebsstrukturen, insbesondere im Bereich der Gelenke, mit hoher Bildqualität und Kontrast darzustellen. Der Ultraschall ist zwar auch wichtig, hat jedoch Limitationen bezüglich der Eindringtiefe und kann nicht das gesamte Gelenk darstellen. Außerdem werden hier Veränderungen des Knochenmarkes nicht visualisiert, die jedoch klinisch hoch relevant sind.
Weber: Die MRT ist definitiv das bildgebende Verfahren der Wahl in der Gelenkknorpeldiagnostik. Dies schließt die Traumaversorgung ebenso ein wie die Beurteilung chronischer, degenerativer Veränderungen. Ebenso ist sie für die Planung therapeutischer Ansätze zur Knorpelregeneration die meistgenutzte Methode.
_Im Rahmen von klinischen Routineuntersuchungen kommen bis heute MRT-Standardsysteme mit Feldstärken von 1,5 und 3 Tesla zum Einsatz, obwohl es seit bereits gut zehn Jahren auch Ultrahochfeld-Systeme mit 7 Tesla und mehr gibt. Waren diese Systeme bislang für muskuloskelettale Fragestellungen nicht wirklich relevant oder welche anderen Gründe haben ihrem Einsatz in der klinischen Routine im Weg gestanden?
Roemer: Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie hier ansprechen. In der Tat werden seit über zehn Jahren 7 Tesla MRT-Systeme von verschiedenen Anbietern vermarktet. Weltweit wurden mehr als 50 Systeme installiert, mit deren Hilfe bereits wichtige Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Dies gilt für den Bereich der Neuroradiologie, aber auch für die muskuloskelettale Radiologie, hier vor allem für die Knorpelbildgebung. Ein entscheidender Grund dafür, dass diese Systeme bislang keinen Eingang in die klinische Routine gefunden haben, war unter anderem die fehlende Zulassung der Geräte. Dies hat sich glücklicherweise geändert. 2017 hat erstmalig ein 7 Tesla-MRT eine CE- und FDA-Zulassung erhalten. Davon abgesehen hat sich jedoch auch die Bildqualität bei 1,5 und 3 Tesla MRT-Systemen signifikant verbessert, was insbesondere auf eine rasante Weiterentwicklung im Bereich der Spulentechnologie zurückzuführen ist. Es scheint so, als habe man die meisten klinischen Fragestellungen bislang suffizient durch herkömmliche Systeme abdecken können. Unsere Aufgabe als klinisch und wissenschaftlich tätige muskuloskelettale Radiologen besteht deshalb darin, relevante Fragestellungen für Ultrahochfeld-Systeme zu definieren. Ich persönlich sehe diese vor allem im Bereich der kleinen anatomischen Strukturen, die in den letzten Jahren auch an therapeutischer Relevanz gewonnen haben. Ein Beispiel hierfür ist die Darstellung von Fingerpulley-Verletzungen bei Kletterern, zu denen wir momentan in Erlangen eine Studie durchführen.
„7 Tesla-Systeme gibt es zwar seit über zehn Jahren, aber wir haben nicht den einen großen Koffer, in dem alle notwendigen Spulen enthalten sind, wie wir das von 3 Tesla- oder 1,5 Tesla-Systemen gewohnt sind.“
(PD Dr. Frank Roemer)
Weber: Die Ultrahochfeld-Bildgebung bietet äußerst interessante Möglichkeiten und Perspektiven, wenn man sich nur einmal vor Augen führt, dass man damit den palisadenartigen Aufbau der Knorpelstruktur visualisieren kann und dass wir mit funktioneller Knorpelbildgebung wie z. B. gagCEST nichtinvasiv Einblicke in biochemische Prozesse wie den Glykosaminoglykangehalt des Knorpels gewinnen können. Ein Verlust der Glykosaminoglykane im Knorpelgewebe gilt als wichtiger Faktor in der Arthroseentstehung und zeigt frühzeitig eine Knorpelschädigung an. Die Aufgabe des Radiologen sollte meines Erachtens darin bestehen, die Entwicklung der bildgebenden Methoden in Kooperation mit unseren Partnern der Medizinphysik und im Dialog mit den Geräteherstellern voranzutreiben und so den klinischen Partnern neue pathophysiologische Einblicke, wie beispielsweise im Kontext der Knorpelschädigung und der reparativen Knorpelchirurgie, aufzuzeigen. Die Zuweisung von Patienten für eine derart dezidierte Diagnostik folgt dann meist zwangsläufig. Eine Zufriedenheit der Zuweiser mit der jetzigen Qualität der Bildgebung darf nicht zu Stillstand bezüglich der Methodenweiterentwicklung führen. Es muss vielmehr unser genuiner Antrieb sein, immer wieder neue, bessere Methoden zu entwickeln, zum Beispiel im Bereich der Nichtprotonenbildgebung wie der 23-Natrium-MRT für nichtinvasive in vivo Quantifizierung des Glykosaminoglykangehalts im Knorpel. Es gibt in diesem Themengebiet viele spannende Entwicklungen, die meines Erachtens von der Radiologie zusammen mit der Medizinphysik und der Industrie vorangetrieben werden sollten.
_Nichtsdestotrotz gibt es zur Ultrahochfeld-Bildgebung gerade im Bereich der Neurowissenschaften schon seit einiger Zeit Forschungsprojekte, die auch von der öffentlichen Hand gefördert werden. Hat die muskuloskelettale Radiologie hier eine Entwicklung verschlafen?
Weber: Wissenschaftliche Aktivitäten und technische Entwicklungen, die sich mit der MRT beschäftigen, gingen in der Vergangenheit eigentlich immer, bei jeder Feldstärke, initial von der Bildgebung des Gehirns aus, beispielsweise die Diffusionsbildgebung. Wurde sie initial vor allem für die Detektion von ischämischen zerebralen Veränderungen eingesetzt, so wird sie heute beispielsweise zur Abschätzung der Tumorzelldichte und zum Abschätzen des Therapieansprechens in einer Vielzahl von Organen wie z. B. Ösophagus, Leber, Prostata eingesetzt, um nur eine Auswahl zu geben. Positiv ausgedrückt können wir bei Ultrahochfeld-Systemen mit 7 Tesla jetzt auf die Erfahrungen, die man im neurowissenschaftlichen Bereich bereits gewonnen hat, zurückgreifen und nun auf den muskuloskelettalen Bereich anwenden.
Roemer: Ich glaube nicht, dass diese Entwicklung von der muskuloskelettalen Radiologie verschlafen wurde. Es gibt auch auf diesem Gebiet renommierte Zentren, die bereits sehr anspruchsvolle Forschung betrieben haben. Die klinische Anwendung wurde allerdings schon ein wenig vernachlässigt, aber nur deshalb, weil diese überhaupt nicht relevant war und niemand auf den Gedanken kam, Ultrahochfeld-Systeme klinisch anzuwenden. Bislang wurden diese Systeme unter anderem dafür verwendet, neue Techniken zu entwickeln, zu testen und sie dann hoffentlich erfolgreich auf andere Feldstärken, 3 Tesla oder 1,5 Tesla, zu übertragen und damit klinisch anzuwenden. Jetzt haben wir jedoch erstmalig die Situation, dass mithilfe dieser Systeme sehr spezielle Fragestellungen, die sich in den letzten Jahren in Fachgebieten wie der Orthopädie, Rheumatologie oder der Unfallchirurgie ergeben haben, direkt beantwortet werden können.
_Welche klinischen Fragestellungen könnten denn für das Ultrahochfeld-MRT im muskuloskelettalen Bereich relevant sein?
Weber: Folgende Fragestellungen seien exemplarisch genannt: Knorpelersatztherapie, regenerative Verfahren, Mikrofrakturierung, autologe Chondrozytentransplantation oder osteochondrale Zylinder sind Felder, in denen es in den letzten Jahren extreme Fortschritte gegeben hat und bei denen eine hochwertige Bildgebung und dezidierte Befundung sowohl zur Therapieauswahl als auch zur Beurteilung des Therapieerfolgs eine zunehmend wichtige Rolle spielt.
Roemer: Ich glaube auch, dass Radiologen bei der chirurgischen Knorpelersatztherapie eine maßgebliche Rolle spielen werden und ein ganz wichtiger Partner sind für Chirurgen oder chirurgisch tätige Orthopäden, insbesondere wenn es um die Beurteilung des Therapieerfolges und der Qualität von Regeneratgeweben geht. Hierfür stehen uns unterschiedliche Methoden zur Verfügung. Die sogenannte kompositionelle Bildgebung, die sich mit T2-Mapping, T2*-Mapping, Natriumbildgebung, gagCEST, dGEMRIC und anderen vergleichbaren Techniken beschäftigt, kann Aufschluss geben über die Knorpelultrastruktur, also über die biochemische Zusammensetzung von diesen Geweben. Semiquantitative Scoringmethoden beurteilen die Knorpelqualität visuell mit ordinalen Skalen. In der post-operativen Diagnostik von Knorpelreparaturverfahren wird beispielsweise oftmals der MOCART-Score angewendet. Wir haben diese Ansätze weiterentwickelt mit einem sogenannten Whole Organ Approach, also einem Ansatz, der das gesamte Gelenk mit einbezieht. Wir wollen nachweisen, dass diese Therapiemethoden dem gesamten Gelenk und Patienten langfristig einen Vorteil bringen. Insgesamt hat es hier in den letzten fünf Jahren noch einmal einen ziemlich großen Entwicklungsschub gegeben.
Weber: Ich kann das auch aus der klinischen Sicht nur unterstreichen. Diese Therapieverfahren sind ja für den Patienten sehr aufwendig, umso bedeutsamer sind verlässliche Aussagen der Bildgebung darüber, wann der Patient nach der OP wieder richtig belasten kann und ob die Knorpelregeneration erfolgreich verlaufen ist, von hoher klinischer Relevanz. Ich möchte aber auch noch auf einen anderen Bereich hinweisen. Muskuloskelettale Bildgebung bedeutet ja auch muskuläre Bildgebung. Zum Nachweis und zur Längenbeurteilung eines Muskelrisses und zur Beurteilung der Vulnerabilität des Muskels nach einer Muskelverletzung bei Profifußballern und Hochleistungssportlern ist die MRT heute Goldstandard. Wenn man sich die Standardwerke zu Muskelerkrankungen von vor 20 Jahren anschaut, spielte die Bildgebung überhaupt keine Rolle. Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Beispielsweise erlaubt die Ganzkörper-MRT eine krankheitstypische Mustererkennung, zur fokussierten genetischen Testung, zudem ist so eine Risikoverlaufsstratifizierung oder Verlaufsbeurteilung von Muskelerkrankungen mit Nachweis einer subklinischen Affektion der Muskeln z. B. im Körperstamm möglich. Dies sind nur einige Beispiele, die für die herausragende Bedeutung der Bildgebung in diesem Bereich stehen. Vor allem über die morphologische Bildgebung hinaus gibt es gerade bei Muskelerkrankungen viele funktionelle Verfahren, die einen wichtigen Beitrag dazu leisten, pathophysiologische Prozesse zu erkennen und ein erfolgreiches Therapiemonitoring zu betreiben. Beispielsweise kann der Energiestoffwechsel der Muskulatur mit 31-Phosphor MR-Spektroskopie bestimmt werden, der kapilläre Blutfluss mit kontrastverstärktem Ultraschall und Veränderungen des Ionenhomöostase im Muskelgewebe mittels Nichtprotonen-MRT quantifiziert werden.
_Sie haben nun gemeinsam mit Kollegen von insgesamt sieben Standorten eine klinische 7 Tesla-Studie des Handgelenks auf den Weg gebracht, für die die DRG im März dieses Jahres eine Anschubfinanzierung bewilligt hat. Was war Ihre Motivation hierfür?
Roemer: Wenn wir unsere Aufgabe darin sehen, klinische Fragestellungen und Anwendungen für MRT-Ultrahochfeld-Systeme zu explorieren, bieten sich kleine anatomische Strukturen an, bei denen die 7 Tesla-MRT anderen Systemen potentiell überlegen ist. So führen wir zum Beispiel in Erlangen derzeit mehrere explorative Studien zur Darstellung von Fingergelenken in Zusammenarbeit mit der dortigen Rheumatologie durch. Der Entscheidung, eine 7 Tesla-Studie des Handgelenks aufzusetzen, liegt neben dem Ziel der besseren Darstellung kleiner anatomischer Strukturen mit therapeutischer Relevanz auch ein gewisser Pragmatismus zugrunde, da wir in Erlangen in der glücklichen Situation sind, aufgrund einer engen Kollaboration mit den Universitäten Heidelberg und Rostock sowie dem Deutschen Krebsforschungszentrum auf eine dezidierte Handgelenksspule zugreifen zu können, die in ihrer Art einzigartig ist in Deutschland.
Weber: Hinzu kommt, dass bei 7 Tesla-Systemen für das Handgelenk noch nicht so viele wissenschaftliche Daten vorliegen wie für das Kniegelenk, das nicht zuletzt der Anatomie mit größerer Knorpeldicke und seiner klinischen Wichtigkeit wegen als erstes im Blickpunkt der Forschung stand. Das Sprunggelenk, das Hüftgelenk oder die Schulter mit ihren dünnen Knorpelflächen wären für uns grundsätzlich ebenfalls vorstellbar gewesen. An jedes Gelenk muss man sich jedoch mit dezidierten Spulen und Sequenzen heranarbeiten. Die Sequenzen sind nicht einfach von Gelenk zu Gelenk übertragbar. Auch im Neurobereich können die Standardsequenzen von 3 Tesla-Systemen nicht auf 7 Tesla-Systeme überführt werden, denn höhere Feldstärken bedeuten immer auch eine Akzentuierung von Artefakten. Versuche, bei denen nicht dezidierte Handgelenksspulen für die Bildgebung des Handgelenks bei 7 Tesla verwendet wurden, lieferten keine besseren Ergebnisse als die optimierte 3 Tesla Bildgebung. Das bedeutet, dass auch die passenden Spulen und Messsequenzen benötigt werden. Wichtig ist deshalb immer das enge Miteinander von Radiologie, Medizinphysik, Gerätehersteller und natürlich auch von klinischen Partnern. Für eine gemeinsame Studie des Handgelenks sprach auch, dass es in Erlangen eine starke Rheumatologie sowie Handchirurgie gibt und sich hier entsprechend häufig Fragestellungen an die MRT auf das Handgelenk beziehen Von daher ist das in jedweder Hinsicht eine Win-win-Situation.
„Ultrahochfeld Bildgebung am Bewegungsapparat ist ein Cutting-Edge-Thema und gleichermaßen wissenschaftlich wie zukünftig wahrscheinlich auch klinisch von höchster Relevanz.“
(Prof. Dr. Marc-André Weber)
Roemer: Ich möchte noch einen Punkt hervorheben, der mir sehr wichtig ist: 7 Tesla-Systeme gibt es zwar seit über zehn Jahren, aber wir haben nicht den einen großen Koffer, in dem alle notwendigen Spulen enthalten sind, wie wir das von 3 Tesla- oder 1,5-Tesla-Systemen gewohnt sind. Da liegt noch viel Entwicklungsarbeit vor uns. Wir sind nun zwar in der glücklichen Situation, dass wir diese dezidierte 16-Kanal Handgelenksspule haben, aber wir wünschen uns natürlich noch viel mehr.
_Welchen zentralen Fragestellungen wollen Sie in der Studie nachgehen und welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich?
Roemer: Initial geht es zunächst einmal um die Entwicklung eines klinischen Protokolls für die Handgelenksdarstellung, das auch für akut entzündliche, traumatologische und eher chronische Fragestellungen anwendbar ist. Im Mittelpunkt steht ein besseres Verständnis von komplexen intraartikulären Zusammenhängen, also von Bandstrukturen, Knorpel, subchondralem Knochen wie auch inflammatorischen Veränderungen. Ferner haben wir einen Aspekt der kompositionellen Bildgebung des Knorpels zur Darstellung prämorphologischer Veränderungen integriert.
Weber: Mit dieser Studie wollen wir zunächst einmal darlegen, welchen Mehrwehrt 7 Tesla-MRT-Systeme bei rheumatologischen und chronisch-degenerativen Fragestellungen wie TFCC Läsionen und Instabilitäten des Handgelenkes bieten können. Da aktuell in der Breite diese Systeme nicht verfügbar sind, könnte sich dann eine Folgestudie mit der Frage beschäftigen, wie diese Erkenntnisse auf die weit verbreiteten 3 Tesla- oder 1,5 Tesla-Systeme übertragen werden können. Die 7 Tesla-Studie des Handgelenks dient in gewisser Weise als Pilotstudie und soll die Basis legen für weitere dezidierte wissenschaftliche Arbeiten, auch in dem Konsortium, das wir für diese erste Studie gebildet haben. Ich bin deshalb sehr froh darüber, dass sich in Deutschland für dieses Thema eine Gruppe gefunden hat, die hoffentlich über die nächsten Jahre hinweg erfolgreich zusammenarbeiten wird und die natürlich sehr offen ist für weitere Partner.
_Wie ist die Umsetzung der Studie angelegt, welche Methoden kommen zum Einsatz und welche konkrete Rolle spielen dabei die beteiligten Einrichtungen?
Roemer: Die Studie ist multizentrisch angelegt, wobei die Bildakquisition monozentrisch am Universitätsklinikum Erlangen erfolgen wird. Wir werden morphologische, kompositionelle Techniken einschließlich der T2 und T2* Relaxometrie verwenden, sowie ferner auch MR-tomografische Knochenstrukturanalysen durchführen. Die unterschiedlichen Einrichtungen werden bei der Bildauswertung multizentrisch integriert.
Weber: Bezüglich des Expert Reader Panels haben wir Wert darauf gelegt, die muskuloskelettale Radiologie in Deutschland breit abzubilden, das heißt hier finden sich sowohl Kollegen aus der universitären Radiologie als auch Experten aus dem niedergelassenen Bereich. Darüber hinaus war uns wichtig, dass Mitglieder der AG Bildgebende Verfahren des Bewegungsapparats der Deutschen Röntgengesellschaft, des Berufsverbands Deutscher Radiologen und der Deutschen Gesellschaft für Muskuloskelettale Radiologie vertreten sind. Schließlich spielten bei der Zusammensetzung des Panels auch Vorerfahrungen mit 7 Tesla-Systemen eine Rolle. Zu den Mitgliedern des Panels zählen neben Frank Roemer und mir Azien Quitzke aus Hamburg, Christoph Rehnitz aus Heidelberg, Rainer Schmitt aus Würzburg, Andreas Sternberg aus Bremen und Jens Theysohn aus Essen. Medizinphysikalisch werden wir unterstützt durch Armin Nagel aus Erlangen und Rafael Heiss aus Erlangen koordiniert die Datengenerierung und -analyse. Insgesamt hat sich eine sehr motivierte Gruppe in Deutschland zur Evaluation des Potenzials des Ultrahochfeld-MRT am Handgelenk gebildet, was uns sehr freut und uns auch sehr wichtig war. Dieses wäre ohne die tatkräftige Unterstützung und Förderung durch den Vorstand und die Geschäftsstelle der Deutschen Röntgengesellschaft nicht möglich gewesen. Ich bin daher der Deutschen Röntgengesellschaft sehr dankbar, dass wir jetzt mit ihrer Unterstützung solch eine Studie realisieren können.
_Wann rechnen Sie mit ersten Ergebnissen?
Roemer: Momentan beschäftigen wir uns noch mit der Protokollentwicklung und -optimierung. Die Bildakquisition sollte dann bis zum Ende des Jahres 2018 erfolgt sein. Im Anschluss daran werden wir zügig mit der Bildauswertung beginnen und hoffen, dass wir zum 100. Deutschen Röntgenkongress schon erste Ergebnisse vorstellen können.
Weber: Ein übergeordnetes Ergebnis dieser Studie liegt auch in dem Nachweis, dass wir in Deutschland eine muskuloskelettal-radiologische Studie mit einem Experten-Board durchführen können, dass wir hierfür die notwendige Infrastruktur durch die Unterstützung der Deutschen Röntgengesellschaft haben und dass wir zeigen: Ultrahochfeld Bildgebung am Bewegungsapparat ist ein Cutting-Edge-Thema und gleichermaßen wissenschaftlich wie zukünftig wahrscheinlich auch klinisch von höchster Relevanz.
_Herr Dr. Roemer, wie bewerten Sie als Leiter der Sektion Forschung muskulokelettale Bildgebung am Universitätsklinikum Erlangen die zukünftige Entwicklung von Ultrahochfeld-Systemen, insbesondere ihre Bedeutung für die muskuloskelettale Radiologie?
Roemer: Die wissenschaftliche wie klinische Zukunft von Ultrahochfeld-MRT-Systemen wird sicherlich stark von den Weiterentwicklungen im Bereich der Spulentechnologie abhängen. Wie bereits ausgeführt, sehe ich klinische Anwendungsmöglichkeiten insbesondere bei der Darstellung kleiner anatomischer Strukturen. Die Hochfeld-MRT wird uns wichtige Erkenntnisse im Bereich der Krankheitsentstehung, zum Beispiel bei rheumatologischen Fragestellungen und frühen Knorpelveränderungen, liefern. Auch bei der Darstellung des subchondralen Knochens wird sich die deutlich höhere Auflösung im Vergleich zu 1,5 oder 3 Tesla-Systemen als Vorteil erweisen. Ferner werden sich sicherlich noch weitere Anwendungsgebiete insbesondere im Bereich der metabolischen Bildgebung und bei der Darstellung Nicht-Protonen-basierter Untersuchungen ergeben wie zum Beispiel der Natrium-MRT.
_Herr Professor Weber, Sie sind seit September 2017 Ärztlicher Direktor am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der Universitätsmedizin Rostock. Inwieweit steht die aktuelle 7 Tesla-Studie auch für Ihre persönliche Vorstellung einer modernen Radiologie?
Weber: Entscheidend ist, dass die Radiologie von ihren klinischen Zuweisern als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen wird. Im Rahmen einer zunehmend organzentrierten Medizin ist dies jedoch nur möglich, wenn auch innerhalb der eigenen radiologischen Abteilung Kompetenzteams gebildet werden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang natürlich auch die Nachwuchsförderung sowie vielfältige Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote. Ich freue mich deshalb auch sehr, dass wir in Rostock in den kommenden Jahren Gastgeber sein dürfen für eine Reihe von internationalen Fortbildungsveranstaltungen wie z. B. 2022 dem Annual Scientific Meeting of the European Society of Musculoskelettal Radiology (ESSR). Unsere Aufgabe als akademische Radiologen im universitären Kontext ist es, immer wieder neue Techniken zu entwickeln und damit auch neue Möglichkeiten in der Präzisionsmedizin zu schaffen, bei der die Radiologie eine zentrale Rolle einnimmt in der Diagnose- und Therapieentscheidungsfindung. Denn die moderne Radiologie vermag es beispielsweise, die Therapieplanung und -beurteilung zu optimieren durch Einsatz einer Vielzahl von Biomarkern und sie kann durch großvolumige Bildgebung und den Einsatz computerunterstützter statistischer Analyseverfahren von Bilddatensätzen individuelle Befallsmuster von Patienten herausarbeiten und Risikostratifizierungen vornehmen. Insgesamt bin ich dankbar dafür, dass ich als muskuloskelettal interessierter Radiologe dieses Studienprojekt zusammen mit Frank Roemer koordinieren darf.
_Thomas Watson von IBM hat 1943 gemutmaßt, dass es weltweit einen Bedarf von vielleicht fünf Computern gäbe. Wie schätzen Sie beide den Bedarf an Hochfeld-MRT im Jahr 2030 ein?
Roemer: Wenn Sie mich vor zehn Jahren gefragt hätten, ob es in zehn Jahren noch 1,5 Tesla-MRT geben würde, hätte ich sicherlich nein gesagt. Und jetzt haben wir mit 1,5 und 3 Tesla zwei Feldstärkensysteme, die beide mit ihren Vor- und Nachteilen ihre Existenzberechtigung haben. 7 Tesla-Systeme werden in absehbarer Zeit nicht unsere Standardsysteme ablösen, aber ich würde mir wünschen, dass wir Fragestellungen definieren können, bei denen es Sinn macht, diese Systeme auch klinisch anzuwenden.
Weber: Die Frage ist nicht leicht oder besser nicht leichtfertig zu beantworten. In der muskuloskelettalen Radiologie haben beispielsweise in der Vergangenheit zahlreiche Studien gezeigt, dass für dezidierte Knorpelfragestellungen 1,5 Tesla-Systeme den 1 Tesla-Systemen und wiederum 3 Tesla-Systeme den 1,5 Tesla-Systemen überlegen sind. Wir arbeiten jetzt daran, den Mehrwert von 7 Tesla-Systemen konkret zu benennen. Da höhere Feldstärken in der Regel auch mit Mehrkosten verbunden sind, wird es immer darauf ankommen, dass es eine genügende Zahl klinischer Anwendungen gibt, damit sich ein System auch in finanzieller Hinsicht trägt. Ich denke schon, dass wir im Jahr 2030 insbesondere in den akademischen Zentren mehr 7 Tesla-Systeme haben werden als aktuell. Aber die Welt bleibt ja nicht stehen. Inzwischen sind auch bereits 9,4 Tesla- und sogar 14 Tesla-Humansysteme im Bereich des Möglichen und werden bereits wissenschaftlich getestet. Im präklinischen Bereich ist die Feldstärke sogar noch höher, sodass es spannend wird abzuwarten, mit welchem Potpourri an Feldstärken wir in zehn bis 20 Jahren arbeiten werden.
Roemer: Spezielle Fragestellungen werden immer mit speziellen Geräten und mit einer speziellen Geräteausstattung einhergehen. Das gilt nicht nur für die MRT, sondern auch für die CT und auch für den Ultraschall.
_Vielen Dank für das Gespräch!