eLearning in der Radiologie – Ein Beispiel, wie es funktionieren kann
Seit kurzem können Studierende der Universität Tübingen Radiologie digital erleben. Mit der Plattform „TueRad eLearning für Studenten“ arbeiten sie an konkreten Fällen und erfahren damit hautnah, was die Radiologie ausmacht. Prof. Dr. Mike Notohamiprodjo, Initiator des Projekts, berichtet im Interview über die Anfänge, die Möglichkeiten und die Zusammenarbeit mit der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG), die TueRad eLearning unterstützt.
Worum handelt es sich bei „TueRad eLearning für Studenten“ der Uni Tübingen?
TueRad eLearning ist eine digitale Lernplattform, auf der Studenten online radiologische Fälle lösen können.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen eine eLearning-Plattform ins Leben zu rufen?
Darauf haben mich die Studenten selbst gebracht. Eines Tages hatte ich anatomische Präparate im MR untersucht und wurde dabei von Studenten aus der Anatomie unterstützt. Wir kamen ins Gespräch und unterhielten uns auch darüber, wie den Studenten die Radiologie so gefällt. Alle mochten die Radiologie sehr gern, schränkten aber sofort ein, dass das Fach im Studium sehr unterrepräsentiert sei. Dazu käme noch, dass die Prüfungen in der Radiologie meist mit großem zeitlichen Abstand zu den eigentlichen Kursen stattfinden würden, sodass die Studenten den Stoff beinahe schon wieder vergessen hätten. Es kam auch meiner Meinung nach der sehr berechtigte Einwand, warum wir Radiologen nicht schon längst etwas dagegen unternommen hätten. Schließlich sei die Radiologie doch ein komplett digitales Fach. Da böte sich eine eLearning-Lösung geradezu an. Das hat mir zu denken gegeben. Daraufhin habe ich bei der Deutschen Röntgengesellschaft nachgefragt, ob es solche eLearning-Lösungen schon in irgendeiner Weise gäbe. Die Antwort war, dass Fabian Bamberg gemeinsam mit der DRG gerade dabei sei, eine Lehr- und Lernplattform für die Radiologie aufzubauen, die genau an dem formulierten Bedarf ansetzen würde. Paradoxerweise sitzt Fabian Bamberg nur einige Türen weiter von mir. Aber so war der nächste Schritt dann klar: Die Lehr- und Lernplattform der DRG ist der perfekte Ort, um den Studierenden aus Tübingen die Radiologie näher zu bringen.
Was genau können Studierende mit TueRad eLearning tun, welche Vorteile bietet die Plattform?
Die Studenten können wie gesagt online konkrete Fälle lösen und zwar mit der kompletten Funktionalität einer PACS-Workstation. Sie schauen sich Bilder in hochaufgelöster Qualität an, ohne irgendwelche Vorbefunde und Markierungen, wie es ja in den meisten Lehrbüchern der Fall ist. So macht Radiologie am meisten Spaß, wenn man selbst Fälle lösen kann. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir damit auch Inhalte aus dem Studium gezielt vertiefen und wiederholen können.
Wie war die Reaktion Ihrer Hochschule, der Uni Tübingen, auf Ihre Idee, eine eLearning-Plattform für das Fach Radiologie ins Leben zu rufen?
Die Universität Tübingen will ihr eLearning-Angebot deutlich ausbauen, daher passte das Konzept sehr gut. Über einen intramuralen (sog. ProfilPlus)-Antrag haben wir sogar eine signifikante Förderung der Uni erhalten. Damit können wir einen Arzt für ein Jahr komplett für das Projekt freistellen. Mit der Fakultät stehen wir in engem Kontakt hinsichtlich der Integration von TueRad eLearning in das Studium und hinsichtlich der wissenschaftlichen Auswertung.
Ist die Radiologie Vorreiter in Sachen eLearning an der Uni Tübingen?
Ja, das ist sie. Es gibt zwar schon andere Lernplattformen im deutschsprachigen Raum, jedoch hat TueRad eLearning den großen Vorteil, von einer großen Fachgesellschaft unterstützt zu werden, die den technischen Part komplett verantwortet. Die DRG ist laufend dabei die Lehr- und Lernplattform auf dem neusten Stand zu halten und den technischen Neuerungen und Möglichkeiten gemäß anzupassen, sodass wir auch in zehn Jahren am Puls der Zeit sein werden. Andere Unis müssen sehr viel Mühe und Zeit in die Entwicklung und Pflege einer solchen Infrastruktur stecken, das ist manchmal ein Problem. Die Lehr- und Lernplattform wird aber bestimmt noch weitere Unis anziehen, da sie als offene Plattform geradezu prädestiniert ist, um allen Radiologen als digitale Lernplattform zu dienen.
Gab es besondere Herausforderungen, die es beim Aufbau der Plattform zu meistern galt? Was lief gut, was war eventuell schwierig?
Das TueRad-Projekt ist natürlich nicht das Projekt einer einzelnen Person. Wir haben eine TueRad-Arbeitsgruppe gebildet, die ich denke sehr viel Spaß an dem Projekt und hervorragende Arbeit geleistet hat. Sich über das Curriculum einig zu werden, war anfangs schon etwas schwierig. Welche Fälle sollten aufgenommen werden, in welcher Reihenfolge und so weiter. Das ist auch heute immer noch Gegenstand von Diskussionen, die Fallsammlung wächst ja stetig weiter. Gerade passen wir unser Curriculum an das vor kurzem in der RöFo veröffentliche Curriculum Radiologie im Rahmen des Studiums der Medizin an. Technische Probleme hatten wir so gut wie gar keine, weil wir ja, wie schon beschrieben, auf die Erfahrung der DRG aufbauen und auf die schon funktionierende Lehr- und Lernplattform aufspringen konnten. An dieser Stelle möchte ich allen Beteiligten aus der DRG und der Uni Tübingen sehr herzlich danken. Es ist eine großartige Zusammenarbeit und wir haben etwas Tolles auf die Beine gestellt.
Gibt es in der Medizin höhere Hürden oder spezielle Begebenheiten, die man beachten muss, wenn man eLearning einführen möchte? Was sind Ihre Erfahrungen?
Das Problem in der Medizin ist, dass die Radiologie nur ein Fach unter vielen ist. Wir sind im Wettbewerb mit anderen Disziplinen, gerade wenn es um den Nachwuchs geht. Und die Zeit der Medizinstudierenden ist begrenzt. Wir können nicht verlangen, dass die Studenten mehrere Stunden pro Tag zusätzlich in eLearning investieren. Wahrscheinlich aus diesem Grund wurde das Angebot kursbegleitend während des Semesters leider wenig genutzt. Vor den Prüfungen jedoch sind die Anmeldungen plötzlich auf das fünffache explodiert. Das kennt man ja von sich selbst manchmal auch: Erst wenn der Druck da ist und Prüfungen nahen, bewegt man sich. TueRad eLearning wurde rege genutzt und auch gelobt. Das war eine sehr schöne Erfahrung.
Nach verhaltendem Anlauf lief es also richtig rund?
Das kann man so sagen. Am Anfang haben sich wohl viele gesagt, och ne, nicht noch eine Lernbaustelle. Als aber dann die Prüfungen vor der Tür standen, hat es sich schnell rumgesprochen, dass es da eine super neue Möglichkeit gibt die radiologischen Inhalte nochmals durchzugehen. Daraufhin wurden wir mit Anfragen von Studenten überschwemmt, die die Anmeldedaten, die sie schon mal von uns bekommen haben, gelöscht hatten. Viele haben regelrecht gebettelt, dass sie nochmals einen Account bekommen können.
Von wie vielen Nutzern sprechen wir eigentlich?
Unser Semester hat 150 Studenten und am Ende hatten 120 TueRad eLearning genutzt. In der Zeit vor den Prüfungen waren es nur 30 gewesen. Da hatten wir das Konzept mit der Kursbegleitung eigentlich schon abgeschrieben, aber dann wurden wir ja doch noch eines Besseren belehrt. Zum Glück!
Das Thema eLearning ist ja nicht mehr ganz jung. Welche Bedeutung hat dieses Thema Ihrer Meinung nach aktuell im Studium der Medizin und für die Zukunft? Wird es bald keinen Professor mehr geben, der eine Vorlesung hält?
Es gibt ja verschiedene Konzepte für eLearning. Einmal das reine eLearning und zum anderen das sogenannte Blended Learning, also eine Kombination aus traditionellem und digitalem Lernen. Dies ist für mich das Konzept der Zukunft. Es sollte und wird meiner Meinung nach immer jemanden geben, der eine Vorlesung hält, das ist durch eLearning nicht zu ersetzen. Eine gewisse menschliche Interaktion gerade in der medizinischen Ausbildung ist wichtig. Die Idee ist, eLearning in die Präsenzkurse zu integrieren und diese damit sinnvoll zu ergänzen.
Ist die Radiologie Ihrer Meinung nach prädestiniert für die Nutzung von eLearning-Angeboten?
Ein ganz eindeutiges Ja. Wenn nicht die Radiologie, welches Fach dann? Das sieht man ja auch am Engagement der DRG für die Lehr- und Lernplattform. Wir arbeiten auch schon teleradiologisch. Man kann mit der eLearning-Plattform sogar eine echte PACS-Umgebung simulieren. Ähnlich gute Voraussetzungen haben vielleicht nur noch die Pathologen.
Die Deutsche Röntgengesellschaft unterstützt dieses Projekt und die ersten 18 Fälle stehen seit kurzem auf der Lehr- und Lernplattform der DRG. Was versprechen Sie sich von dieser Zusammenarbeit?
Das Gute ist erstens, dass wir keine neue Plattform entwickeln mussten, sondern auf etwas Bestehendem aufbauen konnten. Daher hatten wir keine großen Anlaufschwierigkeiten. Zum zweiten wird diese Plattform durch die DRG gepflegt, gewartet und ständig technisch ausgebaut. So sind wir technisch immer up to date. Drittens haben wir auch einen inhaltlichen Vorteil. Wir können uns auf das Curriculum Radiologie beziehen. Dieses wurde von den Lehrstuhlinhabern in der Radiologie erarbeitet, die in der DRG organisiert sind. Nicht zuletzt erreichen wir durch die DRG auch eine viel größere Gruppe, denn das Konzept von TueRad eLearning soll ja nicht nur auf Tübingen beschränkt bleiben.
Genau, wie geht es denn weiter mit der Lernplattform?
Das Ziel ist, dass das Konzept universitätsübergreifend Erfolg hat. Momentan bekommen ja nur unsere Studenten einen Zugang zur Plattform. Natürlich können auch alle das Angebot nutzen, die einen Zugriff auf die Lehr- und Lernplattform haben. Das Ziel ist aber, dieses Angebot auch auf andere Universitäten auszudehnen und damit mehr Medizinstudierenden die Nutzung zu ermöglichen. Zu diesem Zweck haben wir schon Kontakt zu anderen Unis aufgenommen, beispielsweise zur Uni Köln. Der nächste Schritt ist nun, bis zum anstehenden 98. Deutschen Röntgenkongress Ende Mai die schon bestehenden 18 Fälle auf 45 zu erweitern. Den Studenten stehen dann ein Basismodul und ein Fortgeschrittenen-Modul zur Verfügung. Mittelfristig wollen wir das Basismodul in das reguläre Studium an der Uni Tübingen als Pflichtfach integrieren. Das Fortgeschrittenen-Modul würde dann für darüber hinaus interessierte Studenten zur Verfügung stehen. Damit wäre auch ein Ziel von TueRad eLearning erreicht, nämlich die Radiologie in Tübingen insgesamt präsenter zu machen und den Studierenden zu zeigen, dass Radiologie ein spannendes Fach ist. Dies könnte ein wichtiger Schritt in der Nachwuchsfindung für unser Fach sein, das hoffentlich Schule macht. Die Studenten wissen ja oft einfach nicht, wer wir sind und was wir machen. So kommen wir viel näher an die Studierenden ran und wenn sie selbst mal ein paar Fälle lösen können, dann können sie hautnah erleben, was Radiologie ist und was dieses Fach ausmacht.