Neuronales Netz blickt tief in die Lunge
Ursprünglich war die Computertomographie (CT) ein Röntgenverfahren, das vor allem Informationen zur Anatomie der untersuchten Organe lieferte. Mit Hilfe von aufwändigen, computergestützten Analysemethoden können Radiologen heute aber sehr viel mehr aus den CT-Daten herauslesen. Eine Studie der Universitätsmedizin Mannheim zeigt, dass sich aus CT-Datensätzen der Lunge die Lungenfunktion mit guter Präzision abschätzen lässt.
Joshua Gawlitza „Wenn wir uns als Radiologen CT-Bilder ansehen, dann sehen wir helle und dunklere Areale und beurteilen das Organ anhand dieser Helligkeitsunterschiede“, sagt Joshua Gawlitza vom Institut für klinische Radiologie und Nuklearmedizin der Universitätsmedizin Mannheim. Auch Software-Programme, von denen sich Radiologen schon seit Längerem bei der Auswertung einer CT helfen lassen, werten in der Regel Dichteunterschiede auf CT-Aufnahmen aus und ermitteln in den jeweils interessierenden Regionen Durchschnittswerte.
Quantitative Computertomographie informiert über Belüftung der Lunge
Mit den umfangreichen Datensätzen moderner CT-Geräte lassen sich in Zeiten, in denen Computerkapazitäten kaum ein Problem mehr darstellen, aber auch ganz andere Auswertungen machen. Ein Beispiel ist die quantitative Computertomographie (qCT). „Bei diesem Verfahren wertet die Software nicht nur durchschnittliche Dichtewerte aus, sondern analysiert jeden einzelnen dreidimensionalen Pixel oder ‚Voxel‘ separat und setzt sie miteinander in Verbindung“, erläutert Gawlitza.
In einem Organ wie der Lunge kann das hoch interessant sein: Dort wertet die qCT pro Lungenflügel mehr als zwei Millionen Voxel aus. Bei Patienten mit einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) zum Beispiel ist die Lunge nicht homogen belüftet. Es gibt vielmehr Areale, in denen die Luft beim Ausatmen „steckenbleibt“ und andere, die weitgehend normal arbeiten. „Solche schlecht belüfteten Areale können wir mit der qCT erkennen“, so Gawlitza. Ein anderes Beispiel sind Verkalkungen der Herzkranzgefäße, die in der normalen CT ohne Quantifizierung lediglich als dichte Ablagerungen erscheinen. In der qCT dagegen kann der Aufbau der Kalk-Plaques sowie deren Volumen detailliert dargestellt und vor allem quantifiziert werden. Insbesondere für die individuelle Risikoabschätzung des Patienten ist dies relevant.
Neuronales Netz nutzt qCT-Parameter zur Berechnung der Lungenfunktion
Gawlitza und seine Kollegen von der Universitätsmedizin Mannheim berichten beim 99. Deutschen Röntgenkongress von einer klinischen Studie, in der sie bei 75 Patienten mit COPD untersucht haben, ob aus den sehr detaillierten Informationen, die die qCT liefert, nicht auch Rückschlüsse auf die Funktion der Lunge gezogen werden können. „Insbesondere in der klinischen Forschung kann es hilfreich sein, die Lungenfunktion auf Basis von CT-Daten zu ermitteln, zum Beispiel wenn bei einem Patienten zwar CT-Bilder, aber keine Lungenfunktionsdaten vorliegen“, erläutert Gawlitza.
Konkret haben die Mannheimer mehrere qCT-Parameter – darunter Lungenvolumen, mittlere Lungendichte und den Anteil der schlecht belüfteten Lungenareale – in ein neuronales Netzwerk gefüttert. Zum Einsatz kam das dafür in Mannheim eigens für die qCT-Auswertung der Lunge entwickelte Programm PrediCT. „Letztlich rechnet die Software die Lungenfunktion auf Basis unterschiedlicher Modelle durch und bildet einen Mittelwert. Den haben wir dann mit dem Goldstandard, einer Messung der Lungenfunktion mittels Bodyplethysmographie, verglichen“, so Gawlitza.
Genauigkeit wächst mit jedem Patienten
Die vorläufigen Ergebnisse, denen CT- und Bodyplethysmographie-Datensätze von 75 Patienten zugrunde liegen, können sich sehen lassen: Nur um etwa 10 Prozent weichen die von der Software berechneten Lungenfunktionsparameter wie FEV1/VC oder RV/TLC von jenen ab, die per Goldstandard-Methode gemessen wurden. Der besondere Charme an der Nutzung eines neuronalen Netzwerks besteht darin, dass die Genauigkeit der Abschätzung der Lungenfunktion im Laufe der Zeit zunimmt, weil die Software lernfähig ist: „Wir untersuchen derzeit pro Woche drei bis vier Patienten im Rahmen der Studie. Unsere Ergebnisse werden also noch deutlich besser werden“, so Gawlitza.
Auf Dauer, glaubt der Radiologe, könnte die Kombination aus qCT und selbstlernenden Algorithmen bei immer mehr Fragestellungen diagnostische Hilfestellung leisten. Für vielversprechend hält er unter anderem einen Einsatz bei der Durchblutungsmessung sowie in der Krebsmedizin bei der Abgrenzung von Tumorgewebe. Dass Software den Radiologen in naher Zukunft ersetzt, glaubt Gawlitza nicht: „Dank solcher IT-Lösungen können wir den behandelnden Ärzten genauere Informationen liefern. Gleichzeitig wird es immer wichtiger, dass diese Informationen richtig eingeordnet werden.“
Linke Seite: reguläres CT bei Verdacht auf COPD. Rechte Seite: darübergelegtes qCT. Die blauen Areale stellen die für die COPD typische, gefangene Luft dar („air trapping“). Die roten Abschnitte zeigen lediglich Gefäße und haben keinen pathologischen Wert.
Erster Prototyp des Vorhersageprogramms der Universitätsmedizin Mannheim, in welches die in der qCT erhobenen Werte einfließen.